Beyer und Kirschey

Ist die FDP eine „naturschutzfeindliche“ Partei?

Ein Streitgespräch zwischen Gregor Beyer, Landesvorsitzender der FDP Brandenburg, und Tom Kirschey, Landesvorsitzender des NABU im Sommer 2012

Sie kennen sich seit anderthalb Jahrzehnten. Damals – 1996 – gehörten beide der Bundesarbeitsgruppe „Wald und Wild“ (heute Bundesfachausschuss) an und zählen zu den Autoren des Waldpolitischen und des Jagdpolitischen Grundsatzprogramms des NABU. Später strit-ten sie gemeinsam für die Sicherung von Naturschutzflächen in Ostdeutschland, der eine als NABU-Landesvorsitzender in Brandenburg, der andere als Koordinator der Strategiegruppe Naturschutzflächen des Deutschen Naturschutzrings (DNR) und im Hauptberuf Leiter des NABU-Besucherzentrums „Blumberger Mühle“. Zu diesem Thema schrieben sie sogar mal einen gemeinsamen Artikel im Naturmagazin. Heute sitzen sie sich in geänderten Konstellationen gegenüber und vertreten sehr unterschiedliche Standpunkte. Der heutige Märkische FDP-Chef machte seit dem Einzug der Liberalen in den Landtag 2009 nicht selten Schlagzeilen mit Positionen, über welche die Umweltschutzszene den Kopf schüttelt. Da wurde es höchste Zeit für ein Streitgespräch, bei dem unter anderem die Frage beleuchtet werden soll, ob die FDP in Brandenburg eine „naturschutzfeindliche“ Partei ist.

KIRSCHEY: Gregor, eine der ersten Landtagsdebatten, bei der Du aufgetreten bist, ließ eine Metamorphose zum Klimawandelskeptiker oder gar –leugner erkennen. Meine erste Frage an Dich wäre, ob das ernst gemeint war oder der Versuch der Renaissance als Spaß-Partei, und wie es Deine Partei generell mit der Notwendigkeit von Anpassungsstrategien einerseits und der Verstärkung der Anstrengungen zur Reduktion klimarelevanter Gase andererseits hält?
BEYER: Wie mir gelegentlich nachgesagt wird, ist es wohl ein Markenzeichen für viele mei-ner Redeauftritte, dass ich gerne versuche die Menschen damit zum Nachdenken zu bringen, indem ich mit dem Stilmittel des wohldosierten Humors das ein oder andere in Frage stelle, was unsere ach so aufgeklärte Gesellschaft als unumstößliche Gewissheit betrachtet. So war es auch mit jener besagten Rede zum Klimaschutz. Viele die die Rede später im Internet-stream des RBB betrachtet haben –sie stand übrigens lange an der Spitze der Seitenaufrufe, was nach unbestätigten Gerüchten mit den diversen Klicks prominenter NABU-Mitglieder im Zusammenhang stehen soll- wollten leider den Kontext in der sie gehalten wurde nicht sehen. Die Rede fand damals unter dem vorletzten Tagesordnungspunkt der letzten Plenarsitzung kurz vor Weihnachten statt und beschäftigte sich als Weihnachtsgruss an die Kolleginnen und Kollegen des Landtages mit den Weltuntergangsszenarien als Phänomen der Politik. Ich kam in ihr zu der Schlussfolgerung, dass der Abgeordnete Beyer als ganz persönlichen Beitrag zum Klimaschutz, im Gegensatz zu einer damals im Aufgang zur CDU-Fraktion des Landta-ges stehenden fremdländischen Konifere, den Kollegen eine einheimische Kiefer als Weih-nachtsbaum empfahl. Der Klimabezug bestand eigentlich nur durch den von B90/Grüne be-antragten Tagesordnungspunkt in Auswertung des damaligen Weltklimagipfels. Allerdings habe ich auch nie einen Hehl draus gemacht, dass es in der Klimadebatte so manches kri-tisch zu hinterfragen gilt, was wir heute einfach mal so auf die Schnelle zum Gegenstand poli-tischer Entscheidungen machen. In sofern würde ich mich nicht unbedingt als Klimawandels-keptiker –aber auf alle Fälle als Mainstreamskeptiker bezeichnen!

KIRSCHEY: Ich persönlich empfand die Große Anfrage der FDP-Landtagsfraktion zur Fi-scherei als ausgesprochen hilfreich, ist dank ihr doch heute umfangreiches Datenmaterial verfügbar, was Brandenburgs Fischerei wirklich ausmacht, wie viele Arbeitsplätze damit zu-sammenhängen, welchen Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt die Fischerei tatsächlich erbringt, wieviel in Brandenburg konsumierter Fisch aus heimischer Ernte oder Produktion kommt, etc. Das hat in meinen Augen dazu beigetragen, dass die Menschen besser zwischen der durch Medienpräsenz einiger Fischereiverbandslobbyisten wahrgenommenen und der tatsächlichen Bedeutung der Binnenfischerei unterscheiden können. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das auch Eure Intention war. Mich haben die vom Ministerium gelieferten Zahlen nicht in der Tendenz, aber in ihrer Dimension überrascht. Dass nur jeder zehnte in der Region konsumierte Fisch tatsächlich aus Brandenburg stammt, davon auch noch der Großteil aus Teichwirt-schaften und Aquakulturen, bedeutet doch im Umkehrschluss, dass der in Seen und Flüssen gefangene Fisch nur im Promillbereich überhaupt in der Wirtschaftsbilanz der Fischereiwirtschaft auftaucht. Eine bessere Entlarvung der Kormorandiskussion als Scheindebatte kann es doch eigentlich gar nicht geben, oder? Trotzdem fordert die FDP ein Kormoranmanagement und meint damit Bestandsregulierung. Das passt nicht zusammen!
BEYER: Die große Anfrage meiner Fraktion zur Fischereiwirtschaft in Brandenburg war mir in der Tat ein Herzensanliegen, was sich aus meiner Geschichte als ehemaliger Leiter der Blumberger Mühle erklärt. Als ich im Januar 2001 in der Blumberger Mühle anfing wurde ich nach dem Rundgang durch das Besucherzentrum mit dem Satz konfrontiert: „Ach und übrigens, da hinter dem Zaun, da gibt es auch noch so ein Teichgebiet, das uns gehört.“ Der Zufall wollte es dann, dass es eine meiner ersten Aufgaben wurde, für dieses Teichgebiet einen neuen Pächter zu finden und ich -ohne auch nur den blassesten Dunst von Teichwirtschaft zu haben- einen Pachtvertrag aushandeln musste. Das Schicksal wollte es allerdings auch, dass ich mit dem zwischenzeitlich leider verstorbenen Rainer Gensch einen Pächter fand, der sehr schnell für mich zu einem Partner wurde. Nichts anderes hat in den Folgejahren so gründlich mein Denken als Naturschützer verändert, wie die Begegnungen mit Rainer Gensch und dem NSG Blumberger Teiche. Und in der Beantwortung der großen Anfrage kommt interessanter Weise meine sehr persönliche Erfahrung allgemein auf den Punkt: Wer für den Naturschutz wertvolle Landschaften, wie eben die Teichwirtschaften, haben will, der braucht Partner, die das Management dieser Landschaften durch Nutzung organisieren. Und wer Partner haben will, der braucht Ehrlichkeit und muss bereit sein, seinem Gegenüber zuzuhören, um dann, wo Bedarf, sich auch selbst zu korrigieren. Aus der Tatsache, dass momentan leider nur jeder zehnte konsumierte Fisch aus Brandenburg stammt, ziehe ich den Schluss, dass wir das zusammen –Naturschutz, Fischereiwirtschaft und Politik- schnellstmöglich ändern müssen. Und deshalb werde ich auch weiterhin offen und ehrlich sagen, dass es nicht richtig ist, wenn der NABU auf der einen Seite richtiger Weise erkennt, dass die Biotopvielfalt des NSG Blumberger Teiche durch die extensive Teichwirtschaft garantiert wird, aber auf der anderen Seite verschweigt, dass die Satzfische aus dem Ausland kommen, weil wir nicht bereit sind unser heimisches Kormoranproblem zu lösen. Was übrigens auf Grund des Transportes weder ökologisch vernünftig, noch teichwirtschaftlich sinnvoll ist, weil wir damit keine geschlossenen Produktionskreisläufe garantieren und das Risiko des Eintragens von Krankheiten voll auf den Teichpächter abwälzen. Nein, lieber Tom, hier sind wir uns heute nicht mehr einig und ich bin froh, dass mir der NABU mit seinem NSG Blumberger Teiche zu dieser Erkenntnis verholfen hat!

KIRSCHEY: Kommen wir mal auf den Naturschutz im engeren Sinn zu sprechen. Was zeichnet liberale Naturschutzpolitik heute aus? Oder andersrum gefragt, was hältst Du Menschen entgegen, die die Wahrnehmung haben, die FDP agiere in Brandenburg bisweilen narturschutzfeindlich?
BEYER: Vor allem halte ich ihnen entgegen, dass ich auch weiterhin Streitgespräche mit meinem Freund Tom Kirschey schätze und jeder grundsätzlich die Chance hat, einen Liberalen in einer guten Debatte von seinen Thesen zu überzeugen. Im Gegensatz zu so manch anderer „politischen Glaubensrichtung“ halten es Liberale nämlich immer für möglich sich zu irren und schätzen daher das Gespräch! Und ich finde, dass ist ein sehr guter Anfang für alle, die mit uns über Naturschutz reden wollen.

KIRSCHEY: Im Naturschutz gibt es wie überall auch Dogmatiker. Naturschutz, so wie wir ihn beim NABU verstehen, ist die Arbeit „für Mensch und Natur“. Jeder vertritt in einem gesellschaftlichen Diskussionsprozess seine eigenen Interessen. Der Naturschutz und der Umweltschutz allgemein bilden hier eine Ausnahme, da sie ganz altruistisch nicht im eigenen, son-dern im Interesse der Gesellschaft und künftiger Generationen handeln. Wenn eine Interessensgruppe auf den Naturschutz schimpft, dann doch meistens, weil persönliche Interessen, meist wirtschaftliche, dem Interesse der Gesellschaft an biologischer Vielfalt und funktionierenden Ökosystemen widersprechen. Dein Beispiel der Blumberger Teichwirtschaft finde ich interessant. Es ist ja einzig der Fischer, der für sich die betriebswirtschaftliche Entscheidung getroffen hat, seinen Satzfisch in Tschechien zu kaufen. Dass der NABU ihm die Teiche verpachtet, aber nicht zustimmt, dass an seinen Teichen Kormorane geschossen werden, finde ich nicht inkonsequent. Dem Naturschutz wird immer gesagt, er müsse Kompromisse machen. Wenn zwei Parteien mit unterschiedlichen Eigeninteressen einen Kompromiss machen, ist das sicher vernünftig. Und der Naturschutz muss ja auch täglich Kompromisse machen, letztlich aber auf Kosten der Natur. Wenn diese Sichtweise ein Dogma wäre, warum nimmt dann nach allen seriösen wissenschaftlichen Erkenntnissen die biologische Vielfalt so dramatisch ab?
BEYER: Ich halte es für gefährlich, wenn eine Gruppe von Menschen für sich in Anspruch nimmt, sie handele doch gänzlich altruistisch und im Gemeinwohlauftrag und daraus dann sogar eine Position der Erhabenheit ableitet. Meine Lebenserfahrung ist eine andere, denn eine solche Gruppe von Menschen ist mir in diesem Leben noch nie begegnet. Dabei will ich jetzt gar nicht die interessante Frage aufgreifen, von welchen teilweise sogar berechtigten ökonomischen Interessen die Umweltverbände bis zu welchem Grad getrieben werden. Bleiben wir einfach beim konkreten Beispiel der Blumberger Mühle. Natürlich wird der Teichpächter nicht gezwungen zu pachten. Tatsache ist aber auch, dass der NABU auf die Verpachtung alleine wegen des Flächenmanagements angewiesen ist und nach meinem letzten Kenntnisstand auch sehr an der Pachteinnahme zur realen Marktpreisen interessiert ist. Wenn ich dich richtig verstehe, dann müsste der große altruistische NABU doch auf die Pacht verzichten und den Teichpächter für das Flächenmanagement ggf. sogar bezahlen? Ich glaube, dass solche Betrachtungen auf beiden Seiten zu nichts führen. Ich würde mir wünschen, dass beide Seiten anerkennen, dass sie jeweils berechtigte ökonomische Interessen haben und gemeinsam daran arbeiten, wie eine wahrhaft nachhaltige Teichwirtschaft möglich ist, die in einem NSG natürlich selbstverständlich einem besonderen Rahmen unterliegt.

KIRSCHEY: Die Legende von der Gängelung der armen Landnutzer durch „überzogene Vor-schriften des Naturschutzes“ hast Du in der Diskussion um die Naturschutzgesetznovelle kräftig gesponnen. Der NABU kritisiert, dass gerade das Fehlen konkreter Vorschriften zur Untersetzung der „guten fachlichen Praxis“ der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft eine Ursache dafür sei, dass der Verlust der Biodiversität nicht gestoppt wurde. Bei ausnahmslos jeder Artengruppe, für die in Brandenburg Rote Listen vorliegen, ist Landnutzung die mit Abstand wichtigste genannte Gefährdungsursache. Zweifelst Du das an?
BEYER: Abgesehen davon, dass mich jetzt eine sehr fachlich hinterlegte Debatte zu der Art und Weise, wie wir zu den sogenannten „Roten Listen“ kommen, sehr reizen würde -das können wir ja mal bei Gelegenheit nachholen- gebe ich Dir aber im Grundsatz Recht! Natürlich gehört die Art und Weise, wie wir Landnutzung heute betreiben –oftmals schlichtweg betreiben müssen- zu den Ursachen des Artenrückgangs. Allerdings ist dieses Thema extrem vielfältig und ich halte es übrigens –nur weil Du die Anhörung im Ausschuss angesprochen hast- für allein schon strategisch unklug, wenn man einem Vertreter der Landwirtschaft das „Töten“ von Pflanzen vorwirft selbst dann, wenn der Kern dessen, was man damit sagen wollte, zutreffend ist. Du erinnerst Dich an meine Aussage zu den Partnern, die man gegebenenfalls braucht! Das Problem auf Seiten des Naturschutzes ist es oftmals, dass er Bilder aus der vermeintlich guten Zeit um 1850 projiziert und dann die Verhältnisse an diese Bilder anpassen will. Beispiel: Ist die Großtrappe eigentlich wirklich eine gefährdetet Art oder ist sie nur ganz emotionslos eine Art, die nicht mehr in die heutigen Landschaften Brandenburgs passt? Ist der Kranich eigentlich wirklich eine gefährdete Art oder nur noch persönliche „Hobbykulisse des Beringungssports“ vermeintlich prominenter Naturschützer, die sich des projizierten Bildes der gefährdeten Art bedienen und dem Naturschutz damit letztlich gar keinen Gefallen tun? Oder auf der anderen Seite: Ist die Angst vor der näheren Bestimmung der guten fachlichen Praxis vielleicht nur dem sehr emotionsbehafteten Umstand geschuldet, dass man sich grundsätzlich nicht reinreden lassen will, weil man die berühmte Salamitaktik befürchtet, obwohl man hinter vorgehaltener Hand oftmals sagt: na ganz unrecht hat der Naturschutz da aber nicht –ein Satz, den ich übrigens gerade erst wieder nach jener Anhörung-unter vier Augen- vernommen habe. Ja, in der Tat, ich bin skeptisch, was gesetzliche Vorschriften anbelangt, seien sie überzogen oder nicht. Die meisten Vorschriften sind eh nicht kontrollierbar und schaffen dort, wo sie kontrolliert werden, Misstrauen. Vorschriften im Naturschutz können das gute Gespräch nicht ersetzen und lösen insbesondere dort, wo es Partner bedarf, in der Regel kein Problem. Wenn Vorschriften Probleme lösen würden, dann wäre Deutschland seit langem eine Insel der Glückseeligen!

KIRSCHEY: Was ich auf der Ausschussanhörung zur Novelle dargestellt habe, ist im Grunde etwas ähnliches, was Du kritisierst, die oftmals (nicht immer) falsche Prioritätensetzung des gesetzlichen Naturschutzes. Und es war eine Kritik an zu laschen Regeln gegenüber der Landnutzung. Nach den meisten Schutzgebietsverordnungen ist es verboten, als Spaziergänger Blümchen zu pflücken. Wenn im gleichen Schutzgebiet ein Landwirt Blümchen totspritzt, nennt man das „gute fachliche Praxis“. Das ist doch das Paradox. Gesetze lösen keine Probleme, aber sie bilden das Konventionsgerüst der Gesellschaft. Es ist nicht etwa eine Pflichtschuldigkeit gegenüber den engagierten Vogelschützern, wenn ich Dir bescheinige, dass Du bei Großtrappe und Kranich gewaltig daneben liegst. Beide Arten sind gute Beispiele, deren Bestandsentwicklung zeigt, dass sich engagierter Artenschutz lohnt. Dass das nicht ausreicht, um den Verlust biologischer Vielfalt zu stoppen, ist jedem klar. Gerade deswegen muss die Hauptursache für das Artensterben – die Landwirtschaft- endlich in ein präzises Regelungsge-rüst. Regenwürmer-Totspritzen im Zuckerrübenanbau, Mais-auf-Mais-auf-Mais-Fruchtfolgen, Ackerbau auf Niedermoorstandorten, das ist schlichtweg keine „gute fachliche Praxis“.
BEYER: Die Frage der Großtrappe können wir ja gerne mal an anderer Stelle intensiver betrachten. Was die Einschätzung zur sogenannten „guten fachlichen Praxis“ anbelangt sind wir auch gar nicht soweit auseinander. Nur gehört zur Ehrlichkeit eben auch dazu, dass man sich intensiv mit den Ursachen und Wirkungen von Gesetzen befassen muss. Und ich bin mir nicht sicher, ob ausgerechnet jene, die durch konsequente Lobbyarbeit das EEG geschaffen haben und bis Heute verteidigen, berufen sind die „Mais-auf-Mais-auf-Mais-Fruchtfolgen“ zu verurteilen. Vielleicht würde das eine oder andere Gesetz weniger erst gar nicht dazu führen, dass wir mit dem nächsten Gesetz versuchen müssen die Missstände zu beheben, die wir zuvor selbst geschaffen haben.

KIRSCHEY: Ich kenne niemanden, der gegen effiziente und schlanke Verwaltungsstrukturen etwas einzuwenden hat. Und Naturschutzverbände und –stiftungen sind schon heute bereit und in der Lage, gewisse Aufgaben des Staates zu übernehmen. Angesichts der haushaltspolitischen und demographischen Realitäten und Perspektiven ist die Diskussion darüber auch ohne jede Frage statthaft weil alternativlos. Den Rückzug des Staates aus der Verantwortung können und werden die Naturschutzverbände aber nicht tolerieren. Ist die Verlagerung gesellschaftlicher Aufgaben in die Bürgergesellschaft nicht eine Bankrotterklärung der Parteiendemokratie, mit der sie sich selbst überflüssig macht?
BEYER: Da sprichst Du den Kern deutscher Naturschutzpolitik an – eine Fragestellung, über die es sich lohnen würde, sehr lange und intensiv zu reflektieren, vor allem, weil Du damit auch das „Fass“ der Brandenburgischen Naturschutzgeschichte seit der Wende aufmachst. Also zunächst einmal ist das Wertvollste, was der Naturschutz zu bieten hat, seine gut ausgebaute ehrenamtliche Verbandsstruktur –der Landesumweltpolitiker Beyer beobachtet diesbezüglich übrigens mit deutlicher Sorge das gegenwärtige „Schwächeln“ des NABU; es bleibt ja niemandem verborgen, dass sich der Verband gegenwärtig mehr mit sich selbst beschäftigt. Dass wir es beispielsweise im Ausschuss erreichen konnten, dass neben dem Landesbüro auch die beiden Verbände NABU und BUND als Anzuhörende im Rahmen der Novelle des NatSch-Gesetzes geladen wurden und diese es dann nicht fertig gebracht haben, koordiniert zu dritt aufzutreten, hat mich extrem geärgert und in meiner langjährigen Kritik am Konstrukt des Landesbüros eher bestärkt. Mit einer Stimme zu sprechen, ist immer gut, aber mit drei untereinander koordinierten Stimmen zu sprechen ist deutlich besser! Für mich ist ein starker verbandlicher Naturschutz eine der Grundbedingung für das Funktionieren von Naturschutzpolitik überhaupt. Deshalb ist es das Beste, was Politik überhaupt machen kann, wenn sie die Verbandsstrukturen auf allen Seiten der politischen Interessensvertretungen stärkt und sich schlussendlich als Mittler in der Debatte versteht. Dass am Schluss die Politik den gesetzliche Rahmen setzen bzw. korrigieren muss, ist letztlich nur der letzte und bei weitem nicht entscheidende Schlusspunkt einer vorher intensiv geführten Debatte. Daher ist es auch nicht meine Politik, für eine Nachhaltigkeitsdebatte Unternehmen mit Unsummen zu beauftragen, aber auf der anderen Seite nicht in der Lage und nicht Willens zu sein, ausreichende Mittel für die Verbändeförderung zur Verfügung zu stellen. Daher verstehe ich Deine Frage nur zu gut –stellen muss der NABU sie gegenwärtig aber dem Tack-Ministerium!

KIRSCHEY: Du hast doch selbst lange an der Übertragung von Naturschutzflächen an Verbände und Stiftungen mitgewirkt. Wie siehst Du diesen Weg heute?
BEYER: Als eine der größten Erfolgsgeschichten des Naturschutzes überhaupt –wenn auch aus einer für Dich vielleicht irritierenden Einschätzung heraus. Wir beide haben ja in jungen Jahren an so manchem Positionspapier des NABU mitgewirkt –um nicht zu sagen, so manches Papier haben wir maßgeblich geschrieben. Wie Du weißt, habe ich von jeher bei allen Debatten immer auf die „brutalstmögliche Praxistauglichkeit“ von Positionen gedrungen. Dennoch musste ich immer wieder erleben, wie schlussendlich gute Papiere der Fachausschüsse ganz zum Schluss –nicht selten in der Endabstimmung in der Bundesvertreterversammlung des NABU- mit Positionselementen „angereichert“ wurden, bei denen Praktiker nur den Kopf schütteln konnten. Ursächlich dafür war und ist vor allem, dass die Naturschutzverbände oftmals aus einer völlig theoretischen Betrachtungsweise her Probleme auf Flächen beurteilen, für die sie als Eigentümer nicht geradestehen müssen. Daher bin und bleibe ich ein absoluter Freund der Herangehensweise, dass die Naturschutzverbände als Eigentümer auf eigenen Flächen beweisen sollen, was sie in so manchem Papier von Menschen verlangen, die von ihren Flächen ihre Familien ernähren müssen. Ich stelle durchaus fest, dass sich dadurch so manche Debatte der Vergangenheit anfängt zu relativieren und man mit jenen Naturschützern, die sich der Verantwortung als Eigentümer stellen, oftmals viel schneller zu realistisch machbaren Positionen kommt. Das halte ich übrigens für eine liberale Betrachtungsweise im besten Sinne des Wortes. Naturschutz ist am besten beim Eigentümer aufgehoben- das gilt für die Naturschutzverbände genauso wie beispielsweise für die privaten Waldbesitzer! Dort wo der Eigentümer frei und verantwortlich entscheidet, muss sich die Politik am wenigsten einmischen!
Überbringens, by the way: Ich verfolge natürlich sehr interessiert das Projekt des „Gläsernen Forstbetriebes“ von NABU und Landesforstbetrieb Brandenburg. Ich bin auf die Ergebnisse sehr gespannt; und wenn Du einen Tipp haben willst: „Wette momentan noch nicht auf den NABU!“

KIRSCHEY: Und wie sieht es mit dem staatlichen Naturschutz aus? Was schwebt der FDP für den Verwaltungsnaturschutz in Brandenburg vor? Was hat sich bewährt? Was nicht? Auf-gabenübertragungen sind zudem ja nicht für lau zu haben. Wie will die FDP das finanzieren?
BEYER: Um es zunächst unumwunden zu sagen, wir können heute mit Recht stolz drauf sein, dass es in den hochproduktiven Zeiten des politischen Umschwungs in unserem Land gelungen ist, insbesondere ein Großschutzgebietssystem aufzubauen, dass man in normalen politischen Zeiten nicht mal ansatzweise hätte etablieren können. Leider aber müssen wir heute auch feststellen, dass wir in den vergangenen Jahren bis auf kosmetische Korrekturen –z.B. wurde die LAGS zu einer Abteilung des heutigen LUGV ohne jede strukturelle Angleichung- keinerlei Veränderung gegeben hat. Wir tun immer noch so, als hätten wir die glorreichen ersten vier Jahre nach der Wende, als die Haushaltmittel unbegrenzt überall abrufbar bereit standen. Ich gestehe daher gerne, dass es mich maßlos ärgert, dass immer noch eine kleine Clique ehemals hochverdienter Leute des Brandenburgischen Naturschutzes das gesamte System mit ihren Wunschträumen aus vergangenen Zeiten in einer Art Geiselhaft halten und damit das gottlob Erreichte und Errungene sträflich riskieren. Es liegt doch für jeden real Denkenden ganz offensichtlich auf der Hand, dass wir dringend eine grundlegende Reform der Naturschutzverwaltung –vor allem der Großschutzgebiete- brauchen. Aber anstatt die Chancen zu ergreifen und schnellstmöglich über innovative Strukturen nachzudenken -wir haben doch beispielsweise einen NatSchFonds, den man nur weiterentwickeln bräuchte- beobachte ich genau die gleiche Blockadehaltung, die der Naturschutz früher immer den Forstverwaltungen so gerne vorgeworfen hat. Das Ergebnis, dass diese Leute geradezu provozieren, könnte die Zerschlagung unseres Großschutzgebietssystems sein. Es ist der alte Fluch, dass diejenigen, die Großes aufgebaut haben, meist nicht diejenigen sind, die die Qualitäten haben, es zu bewahren. Und leider sehe ich momentan auch nicht, dass die Brandenburgischen Naturschutzverbände ihrer Verantwortung gerecht würden und das Thema auf die Agenda setzen. Man verkämpft sich lieber in Nebenkriegsschauplätzen zu Kormoranen und Wölfen –was übrigens auch viel mit dem Thema Cliquenwirtschaft zu tun hat!
Aber Du hast sehr zu recht nach den Finanzierungsmöglichkeiten gefragt. Es gibt hunderte von Vorschlägen die wir in den Haushaltsberatungen immer wieder einbringen –warum halten die Verbände immer noch an der Realkompensation im Rahmen der Ausgleichs- und Ersatz-leistungen fest. Nicht nur, dass dieses System mittlerweile durch den Flächenverbrauch in der Landwirtschaft selbst zum Problem geworden ist. Seien wir doch endlich ehrlich und machen wir die Ausgleichszahlung zum Regelfall! Ich lasse jederzeit mit mir reden, wie wir dieses System politisch so bauen, dass wir damit die dringend notwendigen Aufgaben im Naturschutz ausfinanzieren können.

KIRSCHEY: Du bist ja auch Präsidiumsmitglied der Bundespartei. In den seit einigen Monaten allerorten gesungenen Chor der Häme will ich zwar nicht einstimmen. Allerdings kann ich nicht verhehlen, dass Personal und Prioritätensetzung bei den Themen sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene ein für mich nicht mehr nachvollziehbares turboneoliberales Gesamtbild abgibt, das wie aus der Zeit gefallen wirkt und in den Wahlergebnissen eine gerechte Quittung findet. Wer sich die Geschichte der FDP ansieht, dem erscheint die umweltpolitisch progressive Rolle aus Zeiten der sozialliberalen Koalition in der alten Bundesrepublik als Episode, die keine wirkliche Tradition bei den Liberalen hat. Was muss sich in der Bundes-FDP ändern, damit auch umweltpolitisch der freie Fall aufhört?
BEYER: Na, da kann ich ja froh sein, dass Du nicht mit 1899 anfängst, als der „Bund für Vo-gelschutz“, also der heutige NABU, von der Frau eines liberalen Reichstagsabgeordneten gegründet wurde. Aber Spaß bei Seite! Wenn man sich die Geschichte des Naturschutzes und des Liberalismus anschaut, dann gibt es in der Tat einige sehr interessante Parallelen. So vor allem die Tatsache, dass beide im Rückblick immer dann als ganz besonders stark erscheinen, wenn sie dem „Mainstream“ entgegenstanden und bereit waren, Themen anzusprechen, die außerhalb dessen lagen, was dem vermeintlichen Konsens der Zeit entsprach. Wenn Dir also unsere Rolle heute als „turboneoliberal“ erscheint -wobei Du mir jetzt zunächst definieren müsstest, was das sein soll, ich kann damit nämlich nichts anfangen- dann habe ich fast den Eindruck, dass wir sehr gut aufgestellt sind. Ähnlich übrigens wie in den 70gern, als wir in der Tat eine wichtige und progressive Rolle auch in der Umweltpolitik gespielt haben. Und gerade weil das so ist, werden wir nicht akzeptierten, dass viele der damals geschaffenen und dringend notwendigen Instrumente in ihr Gegenteil verkehrt werden. Das ist ganz ähnlich wie mit den Kormoranen! Wer innovativ sein will, der muss erkennen, wann ein Instrument Erfolg hatte, um es dann ggf. auch zurückzufahren. Und was das Bild vom „Freien Fall“ anbelangt –damit kannst Du einen ehemaligen Fallschirmjäger nun wirklich nicht mit beeindrucken!

KIRSCHEY: Abschließend würde mich noch interessieren, wie Nachhaltigkeit als [Zitat] „Er-satzreligion“ angesehen werden kann?
BEYER: Wie Du ja weißt, habe ich nicht nur Naturschutz, sondern auch Forstwirtschaft studiert. Ich habe daher, wie wohl alle Förster, ein sehr inniges, um nicht zu sagen fast persönliches Verhältnis zum Begriff der Nachhaltigkeit. Daher regt es mich in der Tat extrem auf, wenn dieser Begriff in einer unakzeptabel inflationären Art und und Weise -ähnlich übrigens wie vormals der Modebegriff der Ökologie- missbraucht wird- noch dazu von Leuten, die oft nicht den blassesten Dunst davon haben, wovon sie eigentlich reden. Zudem trägt diese Debatte heute die absolut typischen Züge einer „Ersatzreligion“ mit allen ihren Merkmalen, so unter anderem den scheinbar unverrückbaren Grundannahmen, deren kritisches infrage stellen sofort den Vorwurf der Blasphemie nach sich zieht. Hinzu kommen Schlussfolgerungen in der aktuellen Debatte, die trotz der Erfahrungen Deutscher Geschichte mittlerweile ganz unverhohlen die Fortsetzung von Planwirtschaft mit anderen Mittel propagieren. Nimm alleine nur das schöne Wort der „Globalen Ressourcenbewirtschaftung“, die genauso illusionär wie im Kern totalitär ist. Was in den Köpfen einiger Nachhaltigkeitsapostel rumschwirrt, ist eine der größten Bedrohung unserer Freiheit seit dem Ende derer, die ähnliches schon öfters unter Missbrauch anderer Termini versucht haben. Dieses trifft einen Liberalen in der Tat bis ins Mark, denn für uns ist niemals der Glaube -egal wie hinterlegt- maßgeblich, sondern immer nur die Vernunft! Diese Vernunft wünsche ich dem Brandenburgischen Naturschutz aus tiefster innerer Überzeugung eines Naturschützers und Liberalen -er könnte dann eine große Zukunft vor sich haben! Naturschutzreligionen führen in die Vergangenheit!

KIRSCHEY: Dieses Gespräch kann erst ein Anfang sein. Viele Deiner Ausführungen würde ich gern zu gegebener Zeit ausführlicher kommentieren. Ich erkenne für mich selbst Überein-stimmung in der Rolle von Naturschutzverbänden und –stiftungen als Eigentümer, und dass sie so den „Praxistest Landnutzung“ erst noch bestehen müssen. Deine Einschätzung der derzeitigen Situation der Umweltverbände stimmt mich persönlich nachdenklich. Ansonsten war es ja auch Sinn des Gespräches, dass der Leser sich ein eigenes Bild machen kann. Da-für hast Du ordentlich Stoff geliefert. Danke dafür!
BEYER: Aber gerne doch! Es gibt viel zu tun im Land Brandenburg und Naturschutzpolitik funktioniert nur mit kritischen Umweltverbänden. Daher freue ich mich auf die zukünftigen Debatten!