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Deutlicher Verlust von Gewissenhaftigkeit

Es steht die Frage im Raum: Können wir noch Flughäfen bauen?

Am Rande Berlins, aber gottlob auf brandenburgischem Boden, stampfen deutsche Ingenieure und Handwerker gerade eine Kleinstadt aus dem Boden. Man müsste ihnen für diese Leistung eigentlich täglich danken. Denn die Milliardeninvestition, die sie umsetzen, gibt einer Region nach aller Erfahrung eine blühende Entwicklungsperspektive und schafft endlich den so lange vermissten Airport der deutschen Bundeshauptstadt.

Man müsste jubeln! Aber mitnichten – was wir erleben ist ein auf oftmals erschreckend niedrigem Niveau geführter Streit zwischen so ziemlich allen, die in irgendeiner Art und Weise betroffen sind oder zumindest glauben, betroffen zu sein.

Da werden beispielsweise Debatten über Kostenexplosionen geführt, in denen behauptet wird, dass das Terminal des Flughafens, anstatt geplanter 600 Millionen Euro, nunmehr 1,2 Milliarden Euro kosten wird. Keiner macht sich die Mühe, mit einem Blick in die Unterlagen erkennen zu wollen, dass das bei einem modular geplanten Bauwerk, bei welchem man schon während der Bauphase die notwendigen Erweiterungen angeht, keine Kostensteigerung ist, sondern primär einfach nur die banale Konsequenz finanzmathematischer Addition.

Oder aber da werfen sogenannte Flughafenexperten die These in den Raum, dass der Flughafen bereits in wenigen Jahren zu klein und völlig überlastet sei, obwohl der interessierte Zeitgenosse nach einer einfachen Google-Suche überrascht feststellen kann, dass exakt der gleiche Experte noch vor wenigen Jahren „Zeter und Mordio“ schrie, weil die Flughafenplanung völlig überdimensioniert sei und niemals ein solch großer Airport gebraucht würde. Oder noch schöner sind die Debatten um Flugrouten und Plangenehmigungen, bei den man oft sehr schnell feststellt, dass kaum einer der Beteiligten die 1171 Seiten des Planfeststellungsbeschlusses gelesen hat, aber dennoch munter behauptet wird, dass darin Flugrouten festgelegt worden wären, an die man sich heute nicht halten wolle.

Offensichtlich ist eine Debatte um die innere Verfasstheit einer Gesellschaft angebracht, in der annähernd jeder die alljährliche Urlaubsreise mit dem Flugzeug genießen will, aber keiner auch nur ansatzweise vom Flugverkehr betroffen sein möchte. Sind wir tatsächlich mittlerweile so saturiert, dass wir uns über das Wachsen von Fluggastzahlen und damit der wirtschaftlichen Entwicklung einer Region nicht mehr freuen und stattdessen nur noch die Angst vor der eigenen Betroffenheit kultivieren?

Leider lässt der Planfeststellungsbeschluss mehrere Auslegungen des Schallschutzniveaus zu. Die Auseinandersetzung um diesen Aspekt lässt tief in eine Gesellschaft blicken, die so ganz auf die Schnelle erklärt, dass die Wirtschaftlichkeit eines Flughafens nur eine untergeordnete Rolle spiele: Hauptsache der Lärmschutz hat Vorrang! Dabei gerät völlig aus dem Blick, dass mit dem Planfeststellungsbeschluss und der Auslegung des zuständigen Ministeriums ein exzellentes Lärmschutzniveau umgesetzt werden soll, das deutlich über dem liegt, was an anderen deutschen – von europäischen ganz zu schweigen – Airports üblich ist. Es scheint, als hätten wir das Bewusstsein dafür verloren, dass sich auch ein Flughafen am Markt behaupten muss und jedes nicht rentable Staatsunternehmen immer zulasten der Allgemeinheit geht. Es werden am Ende die Schulen, die Kindergärten, andere soziale Einrichtungen und – wie der aktuelle Haushaltplanentwurf für 2013/14 zeigt– vor allem die übrige Infrastruktur sein, die von den Finanzierungsdefiziten betroffen sind; von den ordnungspolitischen Aspekten ganz zu schweigen.

Aber auch der politische Raum täte gut daran, zu reflektieren, an welchen Leitlinien sich die Debatte orientieren müsste. Es ist teils erschreckend zu erleben, dass das Bewusstsein schwindet, dass die Politik immer die Verantwortung für das gesamte Land wahrzunehmen hat. So etwas wie staatspolitische Verantwortung und die Erkenntnis dazu, dass dieser Verantwortung sowohl die Regierung als auch die Opposition unterliegen, wird in den Auseinandersetzungen immer rarer. Oder sind wir bereits auf der Entwicklungsstufe am Ende der gemeinsamen Geschichte angekommen, bei der – um es ausnahmsweise mal mit Faust zu sagen – nur noch der Vortrag des Redners Glück ausmacht? Angesichts der oftmals ritualhaften Kämpfe und des deutlichen Verlustes von Gewissenhaftigkeit in der Debatte kann man diesen Eindruck leider gewinnen.

Kein Zweifel! Die erneute Verschiebung der Eröffnung des Flughafens war und ist eine Blamage, die wir auswetzen müssen; so schnell wie möglich und mit vereinten Kräften! Aber wenn der politische Pulverdampf verzogen ist, brauchen wir dringend eine viel weitergehende Debatte. Es steht nicht nur die Frage im Raum, inwieweit die gegenwärtig politisch unmittelbar Verantwortlichen versagt haben. Es steht vor allem die Frage im Raum, ob wir als Gesellschaft überhaupt noch in der Lage, sind Flughäfen zu bauen oder bestehende zu erweitern.

Vergessen wir nicht, Flughäfen verbinden Kontinente! Und in mehreren Regionen dieser Welt entstehen gerade Märkte mit ungeheurerer Dynamik, die auf Gesellschaften gründen, die alles andere als saturiert sind.

Erschienen in den PNN am 16.07.2012 auf Seite 12